Trailrunning am Jochberg

Winni Mühlbauer - Trailrunning am Jochberg 24.4.15


24.4.15
Haarspalterei und eine Erkenntnis
Winni

Endlich kaum noch Winterkacka (copyright by pfadling) auf den Trails. Endlich wieder in den Bergen. Endlich wieder mein Rhythmus. Nach einem netten Ausflug zu den Isar-Trails zwischen Kloster-Schäftlarn und Wolfratshausen und dem kurzen, dafür knackigen Wettkampf in Andechs, der mir mehr Muskelkater beschert hatte als so mancher epische Lauf, ging es endlich wieder auf einen gestandenen Berg.

Das Schwierigste am Jochberg (1565m), so sagt man, sei die Parkplatzsuche auf der Kesselbergstraße. Für Wanderer vielleicht. Mein Kalkül war ein anderes. Gegen 11 Uhr bog ich auf den kleinen Parkplatz ein, der für etwa 25 Autos reicht, und von dem aus es zum Jochberg und Herzogstand hoch geht. Meine Rechnung jedenfalls ging auf: da ich etwa fünfzehn Minuten zum Umziehen und fürs Vorbereiten brauche, stellte ich mein Fahrzeug in zweiter Reihe ab und begann, meinen Trinkrucksack zu füllen. Keine fünf Minuten später kamen auch schon die ersten Wanderer vom Berg und machten mir eine Lücke frei; wenig später wurde für weitere zwei Autos Platz. Die Parkplatzsuche am Jochberg ist für Trailrunner nicht das Schwierigste - wirklich schwierig ist etwas anderes. Jedenfalls für mich.

Ein Manko allerdings hat er, dieser ideale Berg fürs Trailrunning, und zwar die Höhe im Auf- und Abstieg. Ihm stünden 1000hm gut zu Gesicht, doch dazu fehlen ihm leider 293 Höhenmeter. So brauchen Wanderer mit guter Kondition gerademal 1,5 Std. für den Aufstieg, und eine 1 Stunde für den Abstieg. Für manche mag es dieser geringe Zeitaufwand sein, der den Pendanten zum Herzogstand, der ganzjährig zu besteigen ist, so beliebt macht. Für die meisten aber ist es sicherlich die faszinierende Berglandschaft und dass er tief blicken läßt. Es gibt aber noch etwas, weshalb der Jochberg so beliebt und leider auch überlaufen ist. Zwei Wanderinnnen verrieten es mir bei einem kleinen Plausch nach einem Fotoshooting.

Noch aber befinde ich mich am Fuße des Bergs. Mit Hilfe meiner Poles, die ich heute testen will, laufe, springe und hike ich Speed die vielen Serpentinen hoch. Anfangs haben mich die Stöcke etwas abgelenkt, aber schneller als gedacht, kam ich gut mit ihnen zurecht. An der ersten Kreuzung laufe ich links weiter, den spannenden Trail unterhalb des Grates hoch, der viele Möglichkeiten bietet, von der Kante aus hinunter auf den Kochelsee und ins Alpenvorland zu blicken. Bald passiere ich einen Weidezaun und erreiche eine weitere Abzweigung. Rechts geht es entlang von Almwiesen hinunter zur Jocheralm, links steil hinauf zum Gipfel. Ich liebe dieses letzte Stückchen hinauf, und da ich ohne Rückspiegel laufe, bleibe ich immer wieder stehen und blicke zurück - und sehe tief unten den Walchensee. Bald wird es immer flacher, das Gipfelkreuz ist zu sehen, und viele bunte Punkte, weit verstreut auf dem riesigen Wiesenhang unterhalb.

Da hocken sie verträumt in der Frühlingssonne, machen Picknick und genießen den Rundblick. Das war es, worauf sich die beiden Damen, mit denen ich geschwatzt hatte, so gefreut haben.

Und ich armes Schwein? Sitze allein am Gipfelkreuz und nuckle lauwarme Apfelschorle. Nichtmal einen Energieriegel gönne ich mir. Den gibt es traditionell erst nach zwei Stunden Müh und Plag, und auch nur einen, egal, wie lange ich unterwegs bin. Und schon sind wir bei dem angelangt, was zumindest für mich das Schwierigste hier am Jochberg ist. Nein, es ist nicht, dass ich den anderen beim Picknicken zusehen muss und mir selbst nicht mal 'nen Riegel gönne. Auch nicht die fade Apfelschorle, ebensowenig das Alleinsein. Nein, das Schwierigste für mich ist, dass auf dieser fantastischen aber kurzen Strecke in meinem Kopf kaum Platz für meine Gedanken ist, weil ich dauernd mit dem Denken beschäftigt bin.

Sprach ich im Blogeintrag vom 15.1.15 davon, dass ich nicht verstehen kann, wie man es schafft, sich Sorgen zu MACHEN, ging ich bald der Frage nach, ob man sich Gedanken MACHEN kann. Nein, kann man nicht. Meint jedenfalls Mark Rowlands.
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"Wenn ich beim Laufen überhaupt an etwas denke, ist das ein Zeichen dafür,
dass es nicht läuft mit dem Lauf - oder zumindest, dass es noch nicht richtig
läuft. Der Lauf hat mich noch nicht in seinem Griff. Ich laufe nicht im Einklang
mit dem Herzschlag des Laufs, der Rhythmus des Laufs übt noch nicht seine
hypnotische Wirkung auf mich aus. In jedem Lauf, der gut verläuft, kommt
ein Punkt, an dem das Denken aufhört und die Gedanken anfangen. [...)

Wenn mein Körper läuft, dann laufen auch meine Gedanken, und zwar so, dass
ich mit all meinem Wollen und Planen kaum Einfluss darauf habe"
"Mark Rowlands; Der Läufer und der Wolf"
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Solange ich also denke, ist mein Kopf nicht leer. Nicht leer genug, damit Gedanken darin ihren Platz finden können. Gedanken, die vom Himmel herab schweben. In "Schlafes Bruder" von Robert Schneider lese ich: "Die Idee sei ihr gekommen, schnaufte sie, wie sie nichtsdenkend in den grünen Maimorgen geblinzelt habe."

Auch mir kommen Ideen einfach so in den Sinn, die besten beim Laufen, dann, wenn ich meinen Rhythmus gefunden und aufgehört habe, zu denken.

Man kann es als Haarspalterei abtun, für mich jedenfalls erwuchs daraus eine Erkenntnis. Ich wusste endlich, warum ich so gerne allein auf Trails in den Bergen unterwegs bin: Nur wenn ich allein bin, kann ich meinen Rhythmus finden, den Herzschlag meines Laufs, bei dem irgendwann das Denken aufhört und die Gedanken anfangen, ihr Spiel zu treiben.

Zuerst dachte ich, ich gehöre zu einer seltenen Spezies, mit meiner Einstellung zum Alleinsein auf Trails. Dann aber bekam ich Unterstützung von prominenter Seite, von Denis Wischniewski, dem Herausgeber des >>>Trail-Magazins:

Aus Denis' Kolumne (Trail-Magazin 15/03)
"Es ist nun mal so. Ich bin sehr gerne allein. Nicht immer. Nein. Oft. Manchmal.
Immer öfter. So ist die Tendenz. Es gibt Menschen, die müssen immer Trubel
und Frequenz haben, brauchen immer andere Menschen bei sich. Ich bin da
anders. Worauf ich eigentlich hinaus möchte: Allein sein und viel Laufen, allein
sein und Trail-Running passt irgendwie ganz gut."


Allein, aber nicht einsam, ging es auf der anderen Seite hinunter nach Sachenbach am Walchensee. Erstmal vorbei an der noch geschlossenen Jocheralm, die weder romantisch liegt noch ist, noch dazu keinen Fernblick bietet. Arme Wirtsleute, wenn sie im Sommer hinaufschauen und mitansehen müssen, was auf der Picknickwiese los ist. Ab hier geht es erstmal auf einem Forstweg weiter, aber schon bald zweigt ein richtiger guter, mit ausgewaschenen Kalksteinfelsen und - stufen gespickter Singletrail weiter. Doch leider lande ich viel zu früh wieder auf einem Forstweg, der frisch aufgeschottert war. Da der Frühling über dem Walchensee noch nicht Einzug gehalten hat, blicke ich immer wieder runter auf den smaragdgrünen, wellenlosen See, entdecke drei Mirgrautvornix-Windsurfer bei sicherlich vier bis fünf Windstärken - die berühmte Blautermik am Walchensee.

Für einen kurzen Moment, als mein Blick über den See in die Ferne schweifte und ich an nichts dachte, kam mir in den Sinn, dass ich unterwegs war im Blauen Land, vor fünf Wochen und heute, und erinnerte die Worte von Franz Marc: Geist bricht Burgen.

Zuletzt ging es noch ein kleines Stück neben der Kesselbergstraße hoch zum Parkplatz. Wie fein, dass es zwischen den ersten Kehren eine Abkürzung gibt und es nur wenige Meter sind, die ich direkt neben der Straße laufen muss. Hatte schon Angst, es erneut mit auf mich zustürzenden Ungeheuern zu tun zu bekommen, mit Motorradfahrern, die heute zahlenmäßig die Wanderer ausgestochen haben könnten.

Empfehlen kann ich diese Runde - Kesselbergstraße - Jochberg - Sachenbach - nicht unbedingt. Dazu ist der Trailanteil nach Sachenbach runter zu gering, und die Forststraße ist auch nicht so dolle, wenngleich der Ausblick auf den Walchensee gut ist. Wer allerdings im Sommer eine Badehose gepackt hat, der hat dann doch wieder einen guten Grund, die Tour so zu planen. Ansonsten ist es verlockender und spannender, den Singletrail an der Kante entlang, den man hochgekommen ist, auch wieder hinunterzulaufen.

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"Bevor ich diesen Punkt erreiche, an dem das Denken aufhört und die Gedanken anfangen,
laufe ich nicht, nicht wirklich. Ich bewege mich bloß. Der Punkt, am dem sich Bewegung
in Laufen verwandelt: das ist der Punkt, an dem die Gedanken ihr Spiel beginnen."
"Mark Rowlands; Der Läufer und der Wolf"
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An dem Punkt, an dem die Gedanken ihr Spiel beginnen, beginnt für mich der Flow - dieses beglückende Gefühl, dieser mentale Zustand völliger Konzentration und das Aufgehen in einer Tätigkeit, die wie von selbst vor sich geht. Heute am Jochberg habe ich mich bewegt, der Flow konnte sich auf dem kurzen Stück nicht einstellen. Das aber macht nichts, bald geht es wieder auf lange Touren. Hier und heute war ich beglückt, als ich eingehüllt von der Frühlingswärme unter blauem Himmel einfach nur da stand und über die Kante auf den Kochelsee blickte, mich dann umdrehte ... und es mir so vor kam, als schwebte ich hoch über dem Walchensee.

Jochberg: Schweben über Kochel- und Walchensee

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